Kommentar – Konfliktbewältigung: Keine Gewalt lohnt sich (für die meisten)

Egoismus und Geld am Anfang des Konflikts
Dieser Artikel beginnt mit dem Satz: Die spanische Zentralregierung versucht mit nationalen Polizeikräften, das Referendum der Katalanen über ihre Unabhängigkeit zu verhindern (Artikel SZ). – Vielleicht sollte dieser Artikel aber auch anders beginnen: Eine starke katalanische Bewegung veranstaltet gerade hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen ein Referendum, das die nationale Eigenständigkeit der Region zum Ziel hat. Aus vergleichbaren Motiven haben Bayern und Hessen die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs (Artikel SZ zum Länderfinanzausgleich, Beitrag Hessenschau zum Länderfinanzausgleich) durchgesetzt. Ab 2020 wird er neu geregelt und findet nicht mehr zwischen den Ländern selbst statt, sondern wird über den Bund gesteuert (Breitrag Tagesschau zum Ende des Länderfinanzausgleichs). Es geht in beiden Fällen in erster Linie ums Geld. Wohlhabendere Regionen wollen mehr für sich und weniger an andere abgeben. „Anstrengungen müssen belohnt werden“, hieß es in der bayerischen Argumentation für die zunächst vorgesehene Klage gegen den Ausgleichsmechanismus der Länder.

Bürgerkriegstendenz mitten in der EU:
Als ersten Grund für die Entstehung von Kriegen habe ich in meinem Artikel über die Frage, was ein guter Mensch sei Wohlstandsgefälle und Armut angegeben. Wenn heute in Spanien bewaffnete Kräfte versuchen, Bürger vom Abgeben ihrer Stimme abzuhalten und die Zentralregierung zu Gewalt greift, um die Infrastruktur für das Wählen an sich lahmzulegen (Artikel SZ über Verletzte bei Referendum in Katalonien), dann ist ein Maß der Aggression erreicht, das zwischen staatlichen Akteuren innerhalb eines Nationalstaats bislang in der EU nicht bekannt war. Tendenziell ist das eine Vorstufe zum Krieg, zu Gewalt oder Bürgerkrieg. Davor warnen die Zeitungen auch schon seit Tagen (Artikel Focus, Artikel Bild).
Die Interessen, die betroffen sind und die Anlass zur steigenden Spannung bieten, lassen sich so umreißen: Die Katalanen fühlen sich vom spanischen Zentralstaat ausgenommen, weil sie überdurchschnittlich von ihrem Wohlstand abgeben müssen. Einem Wohlstand, der – ohne intimer Kenner der Region zu sein – vermutlich auf der Schönheit und Anziehungskraft der attraktiven und lebenswerten Stadt Barcelona und möglicherweise auch auf einer Nähe zu Frankreich fußt. Im unwahrscheinlichsten Fall jedenfalls ausschließlich auf so etwas wie „der Leistung“ der Katalanen. Der spanische Nationalstaat hingegen fühlt sich in seiner territorialen Integrität bedroht und muss befürchten, dass auch andere Regionen, wie etwa das Baskenland, sich ein Beispiel an einem abtrünnigen Katalonien nehmen. Außerdem ist der Nationalstaat von den finanziellen Beiträgen für andere, ärmere Regionen Spaniens abhängig und kann schwer auf die Region als „Nettozahler“ verzichten.

Gewalt ist teurer als keine Gewalt (für die meisten)
Warum sollte man diesen Konflikt vermeiden? Die Antwort ist sehr einfach und sie lässt sich in jedem Geschichtsbuch nachlesen: Weil jede gewaltsame Auseinandersetzung immer teurer ist als jegliche ihrer wie kostspielig auch immer ausgestalteten Vermeidungsstrategien. Gesamtgesellschaftlich gesehen, denn man muss einschränkend dazu denken, dass eine industrielle Oberschicht und Waffenhersteller immer überproportional von gewaltsamen Auseinandersetzungen profitieren. Hier wird ein Interessessenskonflikt zwischen einem gesamtgesellschaftlichen Interesse, das dem Common Sense folgt, und einflussreichen Partikularinteressen sichtbar. Dass die reichen und einflussreichen Vertreter dieser Partikularinteressen für gewöhnlich einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf den politischen Gang der Dinge haben, verkompliziert die praktische Handhabung von Krisensituationen.

Aleppo

Ich biete zwei weiterführende Gedanken dazu an:

Kriegsschäden als externalisierte und zu vergemeinschaftende Kosten eines Gewinnmodells für wenige
Erstens der gedankliche Versuch, den gesamtgesellschaftlichen Schaden, der durch einen Krieg entsteht, als billigend in Kauf genommene oder erwünscht externalisierte und von der Gemeinschaft zu tragende Kosten zu beschreiben. Und zwar von jenen erwünscht oder in Kauf genommen, die die politischen Geschicke mitlenken oder lenken und an jeder Phase eines gewaltsamen Konflikts mitverdienen (siehe zum Beispiel eine Familie Krupp im zweiten Weltkrieg oder einen Robert Bosch im ersten Weltkrieg – der sich übrigens als löbliche Ausnahme und genau aus diesem Grund auch unter besonderem moralischen Druck sah, im Anschluss an den Krieg beispielsweise Kriegsversehrten zu helfen).

Vorstellen, wie sich an Konflikten verdienen lässt, kann man sich etwa das Folgende: Verdienste können durch Waffen- und Rohstofflieferungen erwirtschaftet werden oder durch den Verkauf von auf militärische Belange ausgerichteten industriellen Produktionsgütern. Umsätze locken wahrscheinlich auch im Handel mit zivilen Gütern, die in Kriegsfällen beispielsweise aus Angst gehortet werden. Dazu kommen Finanzspekulanten, die sich politische Unruhen zunutze machen, indem sie etwa auf Kursschwankungen von Währungen wetten oder Ähnliches. Da hört es aber noch nicht auf. Auch die enormen Aufwände, die zum Wiederaufbau von Städten wie etwa Kabul oder Aleppo nötig sind und in deren Zuge „naturgemäß“ auch mitverdient wird, gehören zum Paket der Interessen, die irgendjemand Findiges auf seiner ganz persönlichen Selbstbereicherungsliste stehen haben wird. Gleichzeitig erzeugen gewaltsame Auseinandersetzungen und Kriege einen ablenkenden und beunruhigenden Effekt auf durchschnittliche Bürger einer Gesellschaft, der es wiederum solchen Menschen in privilegierten materiellen Startpositionen erlaubt, diese privilegierte Situation mit weniger demokratischer Kontrolle zum eigenen Vorteil auszubauen. Vermutlich ist mit diesen wenigen Beispielen erst ein kleiner Teil der Möglichkeiten umrissen, von gewaltsamen Konflikten persönlich zu profitieren. Jeder erinnert sich auch an die Söldner- und Sicherheitsdienstleistungen, die der US-amerikanische Blackwater-Konzern an die US-Regierung für Einsätze im Irak verkauft hat. Und dann haben wir noch nicht über die Befriedigung der Eitelkeit einzelner Akteure gesprochen, die sich Konfliktsituationen gerne zunutze machen, um sich in den Vordergrund zu spielen. Abu Bakr al-Baghdadi vom IS wäre ein Beispiel. Nigel Farrage von der UKIP in England ist ein anderes beredtes Beispiel für diese Art der Selbstbefriedigung des Egos im Namen einer Sache. Und möglicherweise eben auch Carles Puigdemont, der Anführer der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung.

Ließe man, um im Bild der externen Kosten zu bleiben, die Profiteure, die die Gewehre und Fahrzeuge und Bomben und Gasmasken und Dienstleistungen an die Staaten, die sie einsetzen, verkaufen, für die entstandenen Kosten aufkommen, internalisierte man also den Preis des Wiederaufbaus einer Stadt oder eines Landes in das zerstörerische Geschäft mit dem Krieg (und zwar so, dass die gleichen Konzerne nicht auf der anderen Seite direkt an der Beseitigung der Zerstörung wieder mitverdienen würden), so würde sich der Anreiz für Kriegsgeschäfte und Kriegstreiberei aus mehr oder weniger bewusst wahrgenommenem Partikularinteresse heraus im Idealfall neutralisieren. Für die praktische Umsetzung ist das gewiss ein herausfordernder Gedanke, doch es soll hier in erster Instanz um das Aufzeigen einiger nicht immer ganz offensichtlicher Zusammenhänge gehen.

Einen anschaulichen Vergleich bietet die heutige konventionelle Landwirtschaft: Der Vorstandsvorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft Felix Löwenstein hat 2015 im Deutschlandfunk von einer französischen Untersuchung erzählt, in der der Eintrag von konventioneller Agrarchemie ins Trinkwasser ermittelt wurde und dazu die erwartbaren Kosten, wenn man die Substanzen mittels Kläranlagen (rückstandslos) wieder aus dem Trinkwasser entfernen wollte. Das Ergebnis waren Kosten von 50 Milliarden Euro im Jahr, ein Betrag, der exakt dem gesamten französischen Jahresumsatz mit konventionell erzeugten Agrarprodukten entsprach. Internalisierte man diese externen Kosten, bliebe also ein Produkt zum doppelten Preis. Dann, so Löwenstein, könne man auch gleich ökologische Landwirtschaft betreiben. Kein Landwirt würde konventionell wirtschaften, wenn er für die Reinigung des Grundwassers mit zur Kasse gebeten würde. Mit anderen Worten: Kein Waffenhersteller würde Waffen verkaufen, wenn er selbst und nicht die Gemeinschaft in ihrer ganzen Breite, für die Reparatur von Schäden aufkommen müsste.

Daraus lässt sich Folgendes ableiten: Wenn man gleich keinen Krieg führt und stattdessen bereitwillig Wohlstand mit denen teilt, die weniger haben, bleibt am Ende ganz ohne Zerstörung und Flüchtlingsleid ein geordneter, moderater Wohlstand für die durchschnittliche Bevölkerung, der eine bessere Grundlage für geordnetes Prosperieren darstellt als ein von wenigen Profiteuren gesteuerter Wiederaufbau nach einer kompletten Zerstörung von allem nach einem unkontrollierten, hart ausgetragenen Konflikt. Um andererseits zu gewährleisten, dass man mit einer Politik des Teilens nicht in der Falle sozialistischer Antriebslosigkeit landet, gibt es im Rahmen des deutschen Länderfinanzausgleichs beispielsweise den sogenannten Stabilitätsrat, der über die ordentliche und vergleichbare Haushaltsführung der Länder wacht. Verallgemeinert bedeutet das: Es braucht für das Teilen von Wohlstand und das Inkaufnehmen einer Senkung des eigenen Wohlstands Gespräche und Austausch zwischen den Interessen, möglicherweise regulierende Regime und eben eine kluge, weitsichtige Analyse von unaufgeregten staatlichen oder überstaatlichen Akteuren. Die Kriegsanalogie klingt im Zusammenhang mit einem regionalen Konflikt in Katalonien jetzt möglicherweise nach einem etwas schweren Vergleich. Und doch trifft sie den Keim des Problems: Den Egoismus, der offenbar immer wieder blind dafür macht, dass geteilter Wohlstand immer billiger ist als auch nur ein Toter in einem Streit oder eine zerstörte Stadt.

Philosophische Klugheit statt überkommener Reflexe
Der zweite weiterführende Gedanke nimmt Bezug auf den jüngsten (und andauernden) Ukrainekonflikt. Auffällig erscheint auf den ersten Blick der Umgang mit dem von Russland gesteuerten separatistischen Aufstand. Obwohl der Konflikt im beginnenden 21. Jahrhundert stattfindet, hat der Präsident Poroschenko auf eine Weise auf den Konflikt reagiert, die sich spätestens durch die vielen Kriege im Jahrhundert zuvor als Lösungsweg disqualifiziert hat. Poroschenko ist der militärischen und scheinbar paramilitärischen Provokation mit dem Mittel der Gegengewalt begegnet. Ob nun bereits von Anfang an oder erst kurz nach Beginn der Provokation im vollen Bewusstsein der dahintersteckenden Übermacht Russlands oder nicht, kann man nur den Kopf schütteln über die Einfalt, mit der er vollkommen sinn- und aussichtslos die Leben vieler ukrainischer Jungen und junger ukrainischer Männer geopfert hat und ihre Familien mit Leid überzogen hat. Etwas, das passiert, wenn man einen 50-jährigen Schokoladenfabrikanten zum Staatspräsidenten macht und nicht, wie es für das Aufgabenspektrum in dieser Position angemessener wäre, einen ausgebildeten und profilierten Philosophen. Ein Modell, das schon im alten Griechenland Platon vehement vertreten hat. Die gewaltvolle Welt der letzten zwei Jahrzehnte scheint dem Bewusstsein aufzudrängen, dass es eine Grenze geben mag, ab der ein bewaffneter Konflikt unausweichlich werden kann. Der ein oder andere mag sich an die Auseinandersetzungen erinnern, die hierzulande während des Kalten Krieges zur Kriegsfrage mit der UdSSR geführt wurden, unter dem Schlagwort „Besser rot als tot“. Ich kann mir vorstellen, dass diese Grenze, ab der es keinen anderen Ausweg als kriegerische Gewalt gegeben hätte, im Ukrainekonflikt nicht erreicht war und dass der Konflikt (der im Übrigen, wie die meisten Konflikte, komplexe Wurzeln hat, in deren Geflecht auch westliche Politik eine Rolle spielt) eine handfeste Chance dargestellt hätte, über andere, kluge Wege nachzudenken, das Handeln Putins durch eine asymmetrische Reaktion als so archaisch und rückständig zu entlarven, wie es im 21. Jahrhundert erscheinen muss. Auch hier, sollte man meinen, hätten die Interessen Russlands mit größerer Klugheit und Eleganz vertreten werden können.

Die Macht von Partikularinteressen
Ich beende diese kleine Betrachtung mit zwei allgemeineren Hinweisen auf die Macht und den Einfluss, den Partikularinteressen in unserer Gesellschaft haben:
Erstens: Der Kabarettist Frank-Markus Barwasser (bekannter unter dem Pseudonym Erwin Pelzig) hat einmal die Frage aufgeworfen (Beitrag auf Youtube, bei 3’00“ ff), weshalb im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Sendezeit, wenige Augenblicke vor der Tagesschau im Ersten Deutschen Fernsehen Börsennachrichten gesendet werden, obwohl es nur dreieinhalb Millionen Aktienbesitzer in Deutschland gibt. Zufall ist das gewiss nicht. Und weshalb diese Sendezeit stattdessen nicht dafür genutzt wird, eine kleine eigene Sendung für die neun Millionen Menschen mit Burnout oder die neun Millionen Leute, die alkoholsüchtig sind oder die 20 Millionen Raucher angeboten wird? Und man könnte das weiterdenken: Was ist mit denen, die in Deutschland alleinerziehend sind oder mit all jenen, die keine Freude an ihrer Arbeit haben? Könnte man denen nicht mit einer kleinen Sendung guten Rat zusprechen, anstatt eine Minderheit über die Börsenkurse zu informieren?

Zweitens hat das US-amerikanische Politmagazin „New Republic“ im Juni dieses Jahres über das Phänomen des „Thought Leaders“ geschrieben. Darin wird beschrieben, wie sich Denker und Publizisten in den Dienst von wohlhabenden Mäzenen stellen, um ein Auskommen zu haben. Und diese dafür in ihren medialen Äußerungen Positionen vertreten, die den Interessen ihrer Gönner unauffällig Vorschub leisten.

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